Clarissa Benneten
Clarissa Benneten

Leseproben: "Eine Katzendame namens Fräulein Schulz"

1800 km bis zu Hause

 

Gedächtnislücken

Die ersten Sonnenstrahlen dieses frühen Maitages fanden ihren Weg durch das dichte Gestrüpp und erwärmten ihr tiefschwarzes Fell. Langsam öffnete sie die Augen. Auweia waren diese Lider schwer und ihr Kopf brummte. Langsam richtete sie sich auf und reckte ihre Glieder.

Dann blinzelte sie durch die Zweige des Strauches unter dem sie geschlafen hatte. Hier war sie doch noch niemals vorher gewesen. Aber wie war sie denn bloß hier her gekommen? Sie reckte ihr Näschen in die Luft. Fremd, völlig fremd war der Geruch, den sie wahrnahm. Sie schnupperte den Platz ab, an dem sie geschlafen hatte. Ja, der roch schon irgendwie nach ihr. Aber die Zweige, der Boden, die Luft. Lauter fremde Gerüche. Sogar die Vögel zwitscherten anders, als sie es von zuhause gewöhnt war. Zuhause?

Ja wo war denn das? Und wo war Siggi, die große Zweibeinerin, die sie versorgt hatte, seit sie ein Baby gewesen war? Angst überkam sie. Die einzige Geräuschkulisse, die ihr irgendwie vertraut erschien, war der Verkehrslärm, der von einer scheinbar weit entfernten Straße zu ihr drang. Sie hörte große und kleine gefährliche Maschinen auf zwei und vier Rädern. Die fuhren schnell. Na immerhin etwas vertrautes.

 

Vorsichtig tastete sie sich aus dem Dickicht auf eine wilde Wiese über der eine Menge Insekten tanzten. Ihre Lider waren immer noch schwer und irgendwie kam ihr die Sonne heller vor als sonst. Geduckt, so als wäre sie auf der Jagd, streifte sie vorsichtig durch das hohe Gras. Aber wohin sollte sie gehen? Sie war sich sicher, hier war sie noch nie in ihrem Leben gewesen. Aber irgendwie musste sie doch hierhergekommen sein. Und wenn sie selbst hierher gelaufen war, musste es eine Fährte geben. Wieder reckte sie ihr Näschen in den sanften Wind. Nichts. Instinktiv bewegte sie sich schleichend in südliche Richtung. Autsch. Was war das bloß für eine Wiese? Überall wuchs so ein komisches Zeugs, das Dornen hatte und die pieksten in ihre Pfötchen. Nein, das alles gefiel ihr nicht. Zudem machte sich ihr Magen bemerkbar. Sie hatte Hunger, aber es war ihr gleichzeitig speiübel. Ein paar Grashalme könnten helfen. Sie knabberte ein paar Grashalme ab und auch die waren anders als zuhause. Viel härter und nicht so schön grün. An einem felsigen Stein nahm sie ihre eigene Fährte auf. Hier hatte sie markiert. Das roch eindeutig nach ihr. Sie war also doch schon hier gewesen. Aber warum konnte sie sich nicht daran erinnern? Jetzt folgte sie der Fährte und gelangte über eine Mauer aus Felsgestein auf eine andere Wiese. Doch noch im Absprung von der Mauer hielt sie inne. Vierbeiner! Große Vierbeiner. Auch solche hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie fraßen Gras und nahmen keinerlei Notiz von ihr. Schienen nicht gefährlich zu sein. Trotzdem hielt sie es für sicherer auf der Mauer entlang zu schleichen, statt zwischen den Vierbeinern hindurch über die Wiese. Die rochen auch komisch und was sie für ein seltsam gekraustes Fell hatten.

 

Sie hielt sich nicht lange damit auf und folgte der Mauer bis zu einem dichten Wäldchen mit wenig Unterholz. Aber ihre Fährte konnte sie nicht wieder finden. In dem Wäldchen herrschte ein angenehmes Klima. Genau richtig, um ein wenig zu verweilen, denn ihre Lider waren noch immer schwer. Sie fühlte sich als ob sie Tage und Nächte nicht geschlafen hätte und etwas ganz aufregendes hinter ihr lag. Aber was? Sie hockte sich an eine Baumwurzel, mit dem Hinterleib an den Stamm und klappte die Vorderpfoten unter die Brust. „Nur ein kleines Nickerchen,“ dachte sie und döste auch schon vor sich hin. Aber der knurrende Magen und die beißende Ungewissheit ließen sie nicht schlafen. Sie musste weiter. Ihr Zuhause und Ihre Menschenfrau finden, denn sie war sich sicher, dass beide ganz in der Nähe sein mussten. Ihr Weg endete an einem Maschendrahtzaun. Sowas kannte sie. Wenn der fest genug ist, wäre er kein Hindernis. Sie stellte sich auf die Hinterläufe und testete mit den Vorderpfoten ob der Zaun stark genug ist, um daran hoch zu klettern. Nein, das war eine wackelige Angelegenheit. Aber wo Zäune sind, gibt es meistens auch Tore. Sie lief den Zaun entlang und sah durch die Bäume ein kleines gelbes Haus. Das war auf gar keinen Fall ihr Zuhause. Aber Menschen wohnen in Häusern. Und vielleicht, ja vielleicht fand sie hier ihre Menschen-frau. Zwischen Zaun und Haus war ein Spalt geblieben und sie passte perfekt hindurch. Hier roch es nach Mensch. Nach Menschenessen, nach Menschenspuren aber es war kein Mensch zu sehen. Auch nicht Siggi, wie andere Menschen nach Ihrem Frauchen riefen.

 

Ängstlich und traurig gleichermaßen hockte sie sich in der Nähe des kleinen gelben Hauses unter einen Baum. Vielleicht half es wenn sie nach Siggi rief. Vielleicht suchte Siggi ja auch nach ihr. Aus tiefster Brust begann sie zu rufen. Miau, miau, miau, mau, mrau, mrau und dann riss jemand das obere Fenster des kleinen gelben Hauses auf. Ein Mensch streckte den Kopf hinaus und rief ihr unverständliches zu. Eindeutig ein Menschenmann, und dem Tonfall nach meinte er es nicht gut mit ihr. Sie ergriff blind die Flucht, steuerte auf ein großes, graues Tor zu und zwängte sich geschmeidig unter dem Tor durch. Jetzt gelangte sie auf einen weiteren schmalen, steinigen Weg der auf der anderen Seite von meterhohem, grasähnlichem Grün bewachsen war. Prima Versteck, dachte sie und verschwand noch mit dem Geschimpfe des Mannes hinter sich im Schilf. Doch kaum fühlte sie sich halbwegs in Sicherheit, rutsche sie einen steilen Abhang hinunter auf einen Bachlauf zu. Sie konnte sich gerade noch an einer Wurzel fangen, bevor sie im Wasser gelandet wäre. In diesem Moment war ihr, als ob sie hier schon einmal vorbei gekommen wäre. So einen Bachlauf  hatte sie passiert, aber es war dunkel gewesen und sie hatte sich schlecht gefühlt. Ihre Erinnerung war so dumpf wie das Gefühl, das sie beim Aufwachen gehabt hatte. Was war denn nur mit ihr? Irgendetwas sagte ihr, dass sie dem Bachlauf folgen musste, aber zur Sicherheit in ausreichender Entfernung zum Wasser. Das floss nämlich sehr schnell und hätte sie mitgerissen, wenn sie dort hinein gefallen wäre. Langsam kämpfte sie sich wieder nach oben bis auf den Steinweg, der parallel zum Bachlauf in östlicher Richtung verlief. Hier waren viele Vögel unterwegs aber sie fühlte sich noch nicht fähig, zu jagen. Und obwohl sie hauptsächlich im Schatten des Schilfes unterwegs war, spürte sie, wie die Luft immer wärmer wurde. Die Verkehrsgeräusche von der Schnellstraße kamen näher und näher und bald kreuzte der Steinweg die Schnellstraße. Die Kreuzung konnte sie schon erkennen. Und dort sah sie Menschen und ein Haus mit einem großen Turm.

 

Menschen? Sie hielt inne. War Siggi vielleicht dort? Im Schutz des Schilfes näherte sie sich dem Haus. Die Menschen, die sie vorher noch auf dem Weg, der hier asphaltiert war, gesehen hatte, saßen jetzt an Tischen, nahe am Haus unter großen Sonnenschirmen. Es erinnerte sie irgendwie an ihr Zuhause. Auch dort gab es eine Terrasse mit einem Tisch und einigen Stühlen. Darauf durfte sie aber nie sitzen. Schon als sie gerade groß genug gewesen war, um auf einen Stuhl zu klettern, hatte Siggi ihr das beigebracht. Immer wieder hatte sie sie runter auf den Boden gesetzt und immer das gleiche zu ihr gesagt, bis sie es begriffen hatte. So unterließ sie es auch später, als sie mit einem einzigen Satz auf jeden Stuhl oder Tisch hätte springen können. Weil Siggi das nicht wollte. Siggi. Zuhause. Sie seufzte. Bei der Erinnerung daran wurde sie wieder traurig.

 

Ängstlich, aber mit der großen Hoffnung im Herzen, Siggi hier zu treffen, näherte sie sich langsam dem Terrassenrestaurant. Je näher sie kam, desto deutlicher vernahm sie den Geruch von anderen Katzen. Sehen konnte sie aber keine. Sie passierte ein weiteres kleines Haus, musste aus dem Schutz des Schilfes heraus den Weg entlang. Das Terrassenrestaurant war eingezäunt aber es gab ein offenes Törchen. Hier roch es auch nach Menschenessen. Fisch und Fleisch, das kannte sie. Unbemerkt von den Gästen schlich sie entlang der kleinen Mauer, auf der der Zaun befestigt war in den Teil des Restaurants, der überdacht war. Hier standen viele Tische und Stühle übereinander gestapelt. Aber hier saß kein Mensch. Aus, wie sie dachte, sicherem Schutz unter dem Möbelturm beobachtete sie das Geschehen auf der Terrasse und schaute sich alle Menschen ganz genau an. Sie kommunizierten miteinander wie Menschen es immer tun, aber Tonfall und Aussprache klangen anders, als sie es bisher kennengelernt hatte. Und Siggi war nicht dabei. Wie gern hätte sie die Sprache der Menschen verstanden. Das war doch schon immer ihr Wunsch. Doch trotz ihres Bemühens konnte sie die Sprache der Menschen nicht verstehen. Die Bedeutung einiger Laute hatte sie gelernt und sich die Körpersprache und Mimik dazu eingeprägt. So konnte sie unterscheiden, ob sie etwas gut oder schlecht gemacht hatte, ob man es gut mit ihre meinte oder nicht, ob sie selbst gerufen wurde oder jemand anders.

 

 

Neue Heimat, neue Freundin

Sie schaute hinüber auf die andere Seite des winzigen Stausees und blickte direkt in ein paar runde Kulleraugen. Ihr gelblich grünes Gegenüber machte Pausbacken und stieß seltsame Laute aus. Es klang wie quork, quork, quaak.

Die Laute wurden von irgendwo her erwidert. Für sie selbst unsichtbar im dichten Gras saß ein weiteres ihr bisher unbekanntes Wesen und antwortete dem Glubschauge gegenüber. Noch eins und noch eins stimmte in den seltsamen Gesang ein. Von überall her kamen die Quorkrufe. Sie mischten sich mit dem Zirpen der Grillen, dem Zwitschern der Vögel dem Rauschen des Bachlaufs und des Schilfrohrs, das sich im sanften Wind wiegte.

Als sie sich aufrichtete um Ihr seltsames Gegenüber genauer in Augenschein zu nehmen, machte dieses einen riesigen Satz und platschte nahe vor ihr ins seichte Wasser. Sie erschreckte sich so, dass sie blitzschnell zurückwich, staunend, dass so ein kleines Geschöpf so große Sprünge machen kann. Hinter ihr raschelte etwas im Schilfgras und noch ehe sie begriff, was da passierte, sprang ein weiteres quakendes Geschöpf neben ihr ins Wasser verfolgt von einer großen, weißgrauen Katze die hinterher sprang. Mit einem einzigen Pfotenhieb erwischte die Katze das grünliche Tier und beförderte es aus dem Wasser zurück ans Ufer. Nass bis zum Bauch und unendlich flink setzte die Katze nach und hatte auch schon den Kopf des springenden Etwas im Maul. Sie schleuderte es herum und verspeiste es ohne zu zögern gierig schmatzend. Nur die Flossenfüße ließ sie übrig.

Kaum einen halben Meter von Miezi entfernt schaute die weißgraue Artgenossin zu ihr hinüber und schüttelte unbeeindruckt das Wasser von ihrem Fell. „Noch nie einen Frosch gefangen?“, sollte dieser unverhohlene Blick wohl heißen, „oder warum hast Du nicht zugegriffen? Bist wohl wasserscheu?“ Miezi schüttelte sich. Allein der Gedanke an nasse Pfoten, jagte ihr einen Schauer durchs Fell. „Die sind sooo lecker. Dafür springe ich auch schon mal ins Wasser. Musst du probieren. Vor allem die Fetten.“  Dann drehte sich die Grauweiße um und erwischte ihr nächstes Opfer fast ohne Anstrengung, denn das saß quakend im Gras. Ohne Miezi weiter zu beachten, fing und fraß die Grauweiße einen Frosch nach dem anderen. Um das gesamte Ufer dieses Miniteiches herum hopsten diese seltsamen Tiere, die Miezi noch nie zuvor gesehen hatte. Nun aber war ihr Jagdinstinkt geweckt und hungrig war sie auch. Bei diesem Überfluss an hüpfenden und quakenden Amphibien hatte auch Miezi schnell den Dreh heraus, wie man sie am leichtesten fängt und verspeist. Sie waren wirklich saftig, zart und lecker. Es war ein riesen Spaß, gemeinsam mit der Grauweißen Frösche zu fangen. Schließlich saßen sie beide satt und zufrieden im Schilfgras und putzten genüsslich ihre Schnäuzchen und Pfötchen.

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